Ärztliche Aufklärung: Wieviel Bedenkzeit müssen Patienten erhalten?
Ist einem Patienten nach der Aufklärung über einen riskanten Eingriff zwingend eine Bedenkzeit zu gewähren, um sich für oder gegen die Operation zu entscheiden? Das oberste deutsche Zivilgericht vertritt dazu eine klare Meinung.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem vor kurzem veröffentlichten Urteil (Az, VI ZR 375/21) konkretisiert, wie schnell nach dem ärztlichen Aufklärungsgespräch ein Patient in die geplante Behandlung einwilligen kann. Der Entscheidung lag der Fall eines Mannes zugrunde, dem sein HNO-Arzt wegen anhaltender Beschwerden eine stationäre Behandlung sowie einen chirurgischen Eingriff empfohlen hatte.
Entsprechend wandte sich der Patient an ein Krankenhaus, um eine Operation an der Nase durchführen zu lassen. Im Zuge der Vorbereitungen wurde er auch über dessen erheblichen Risiken aufgeklärt. Da ihn die aufklärende Ärztin darum bat, unterschrieb der Mann direkt im Anschluss an das Gespräch die Einverständniserklärung für die Operation. Der Eingriff selbst fand drei Tage später statt. Dabei kam es zu Komplikationen. Der Patient erlitt nicht nur Verletzungen der Hirnhaut und der vorderen Hirnschlagader, auch sein linker Riechnerv wurde durchtrennt.
Der Mann verklagte daraufhin die Klinik auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Zur Begründung führte er unter anderem an, er sei nicht richtig aufgeklärt worden. Insbesondere habe man ihm vor der Erteilung seiner Einwilligung zu wenig Bedenkzeit eingeräumt.
Bundesgerichtshof konkretisiert die eigene Rechtsprechung
Während die erste Instanz die Klage zurückwies, bejahte das Oberlandesgericht Bremen einen Aufklärungsfehler. In letzter Instanz, vor dem BGH, unterlag der Patient jedoch wieder.
Die Karlsruher Richter entschieden, dass es nach der Risikoaufklärung über eine Operation keine zwingende Bedenkzeit gebe. Ein Patient könne auch sofort nach der Aufklärung entscheiden, dass er die Behandlung vornehmen lassen wolle.
Zwar seien die ärztliche Aufklärungspflicht und die danach erteilte Einwilligung des Patienten rechtliche Voraussetzung einer jeden medizinischen Behandlung und die Aufklärung über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände müsse so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann.
Sperrfrist zwischen Aufklärung und Einwilligung ist nicht erforderlich
Dies sei aber vorliegend der Fall gewesen. Der Patient musste vor dem beabsichtigten Eingriff nämlich nur so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen konnte. Eine Sperrfrist zwischen der Aufklärung durch den Arzt und Einwilligung durch den Patienten sei hingegen nicht erforderlich. Vielmehr sei der Zeitpunkt der Entscheidung schlicht „Sache des Patienten“.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bejaht der BGH lediglich in Fällen, in denen es für den Arzt oder die Ärztin klar erkennbar ist, dass der Patient noch Zeit benötigt, um sich zu entscheiden. Ausgenommen seien dann allein medizinisch dringende Maßnahmen, so die Bundesrichter.
Anmerkung von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht in Hanau:
Auch wenn der BGH vorliegend gegen den Patienten entschieden hat, sind die Erfolgsaussichten gut, wenn Patienten Aufklärungsfehler rügen. Drängt ein Arzt zum Beispiel aktiv darauf, schnellstmöglich in die Behandlung einzuwilligen, obwohl diese nicht unmittelbar erforderlich ist, kann der Patient seine Entscheidung nicht wohlüberlegt treffen. Damit ist die Einwilligung fehlerhaft – und es können Ersatzansprüche entstehen.