Arzthaftung: Wenn der Arzt die Risiken einer Operation verharmlost
Wie drastisch muss ein Arzt auf mögliche bleibende Folgen eines chirurgischen Eingriffs im Rahmen der Risikoaufklärung hinweisen? Und welche Rechte haben Patienten, wenn sie sich unzureichend informiert fühlen? Das hat nun der Bundesgerichtshof entschieden.
Nach einer Computertomographie und einer Magnetresonanztomographie erhielt eine 52-jährige Frau die niederschmetternde Diagnose: Gehirntumor. Zwar sei die Geschwulst langsam wachsend und gutartig. Da, je nach Lage des Tumors, aber vielfältige Symptome möglich seine – von Kopfschmerzen über Lähmungserscheinungen bis hin zu Sprachstörungen und epileptischen Anfällen – riet ihr Arzt der Patientin zu einer operativen Entfernung.
Vor dem Eingriff wurde die Patientin über die Risiken der Operation aufgeklärt. Das Formular führte zwar diverse Gefahren ausdrücklich auf, unter anderem auch lebensbedrohliche Komplikationen oder epileptische Anfälle. Allerdings enthielt das Papier auch die folgende Passage:
„Seien Sie durch die Aufzählung der Komplikationsmöglichkeiten bitte nicht beunruhigt, diese treten keinesfalls regelhaft auf. Im Gegenteil, sie bilden die Ausnahme. Treten dennoch Komplikationen auf, können sich Störungen und Ausfälle im Laufe der Zeit wieder zurückbilden. Nur selten kommt es zu schweren bleibenden Störungen.“
Erhöhtes Risiko in der Risikoaufklärung nicht ausreichend verdeutlicht
Nach ihrer OP litt die Patientin unter einer halbseitigen Gesichtslähmung, die auch in der Folgezeit bestehen blieb. Sie verklagte die Klinik daher auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Als Grund führte sie an, sie sei nicht im erforderlichen Umfang über die Schwierigkeit der Operation und ihre Risiken aufgeklärt worden. Vor allem habe man sie nicht ausreichend darüber informiert, dass das Risiko für das Eintreten von Komplikationen bei ihr aufgrund der starken Durchblutung des Tumors erhöht gewesen sei. Die entsprechenden Passagen des Aufklärungsbogens hätten dieses Risiko vielmehr verharmlost. Hätte sie um die tatsächlichen Risiken der Operation gewusst, hätte sie vor der Einwilligung in den Eingriff noch eine Zweitmeinung eingeholt.
In den ersten beiden Instanzen hatte die Frau mit ihrer Klage keinen Erfolg. Die Richter hielten die Aufklärung für ausreichend, insbesondere, weil der Arzt im Rahmen des Gespräches wichtige Passagen unterstrichen hatte, um deren Bedeutung hervorzuheben. Die Tatsache, dass der Mediziner die Formulierung des Bogens „unter Umständen schwere und dauerhafte Ausfälle“ nicht unterstrichen habe, spreche nicht für eine Verharmlosung.
Karlsruhe entscheidet zugunsten der Patientin
Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) wendete sich das Blatt. Die Karlsruher Richter hoben das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwiesen die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Nach Ihrer Ansicht hat das Oberlandesgericht wesentliche Teile des Vortrags der Patientin nicht berücksichtigt und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör missachtet. Schließlich hatte sich die Frau mitnichten darauf beschränkt, eine einzelne Passage im Aufklärungsbogen anzugreifen, sondern insgesamt eine Relativierung des Operationsrisikos durch den Arzt moniert. In Anbetracht der Tatsache, dass laut Sachverständigem bei etwa der Hälfte der Patienten nach einer solchen OP neurologische Defizite aufträten, meldeten die Bundesrichter Bedenken an, ob die vorliegende Risikobeschreibung tatsächlich zutreffend sei (BGH, Az VI ZR 342/21).
Das Oberlandesgericht muss nun erneut über die Sache entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des BGH berücksichtigen.
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