Massenbetrieb im Krankenhaus: Haftet der Arzt, wenn er sich an die Aufklärung nicht erinnert?
Für Mediziner mögen bestimmte Eingriffe Routine sein. Für Patienten sind sie es nicht. Das wirft die Frage auf, wie individuell das Aufklärungsgespräch vor Standard-Behandlungen ausfallen kann und muss.
Grundsätzlich gilt: Ärzte müssen beweisen, dass sie einen Patienten ausreichend über die Chancen und Risiken eine Behandlung aufgeklärt haben. Nicht erforderlich ist es allerdings, dass sie sich an die Details jedes einzelnen Gesprächs erinnern können. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden in einem aktuellen Fall entschieden (Az. 4 U 1388/20). Konkret ging es um einen Patienten aus Sachsen, der eine Klinik auf 12 000 Euro Schmerzensgeld verklagt hatte.
Der Mann leidet an Multipler Sklerose, ist übergewichtig und hat diverse orthopädische Probleme. Im Dezember 2012 verschlechterte sich sein Zustand. Als er im Januar kaum noch gehen konnte, begab er sich in die Klinik, mit der er später den Rechtstreit führen sollte.
Die Ärzte führten dort eine Immunadsorption durch, also Verfahren, bei dem bestimmte Blutbestandteile entfernt werden. Im Vorfeld der Behandlung hatte sich der Mann zu einem Aufklärungsgespräch die Klinik begeben und im Nachgang an das Gespräch auch einen Aufklärungsbogen unterzeichnet.
Komplikation oder Behandlungsfehler?
Die stationäre Aufnahme erfolgte fünf Tage später – und die Probleme begannen. Obwohl der Oberarzt es mehrfach versuchte, gelang es ihm nicht, dem Patienten einen sogenannten Shaldon-Katheter in die Schlüsselbeinvene zu legen. Daher wurde der Katheter schließlich über die rechte Leiste eingeführt. Der Kläger erhielt zudem einen Zugang in die Armvene gelegt.
Als Arzt den Venenkatheter wieder entfernte, kam zu einer pulsierenden Spritzblutung. Der Arzt und eine hinzugezogene Schwester konnten diese zwar zeitnah stoppen und legten einen Druckverband an. In der folgenden Nacht entließ sich der Kläger dann aber entgegen ärztlichem Rat. Daraufhin bildete sich auf der linken Körperseite ein Hämatom vom Oberschenkel bis zur Wade. Zudem entwickelte sich ein Aneurysma im Darmbein, das chirurgisch entfernt werden musste.
Unter anderem mit der Begründung, dass er nicht ordnungsgemäße über die Anlage des Katheters aufgeklärt worden sei, verklagte der Patient die Klinik. Allerdings hatte er weder in der ersten noch in der zweiten Instanz Erfolg.
Vergessen ohne rechtliche Relevanz
Der Arzt konnte sich zwischenzeitlich zwar nicht mehr an das konkrete Aufklärungsgespräch mit dem Patienten erinnern, er schilderte aber den üblichen Ablauf eines solchen Gesprächs. Zudem befand sich ein vom Kläger unterschriebener Aufklärungsbogen in den Unterlagen, die die Klinik pflichtgemäß aufbewahrt hatte. Das Landgericht Leipzig wies die Klage des Mannes daher ab, ebenso wie das Oberlandesgericht Dresden. Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der behaupteten unterbliebenen Aufklärung stünden dem Mann nicht zu, da eine solche offensichtlich stattgefunden habe. Um diesen Nachweis zu erbringen, sei es nicht erforderlich, dass sich der Arzt an das konkrete Aufklärungsgespräch erinnere. Das Gericht könne seine Überzeugungsbildung vielmehr auch dann auf die Angaben des Arztes stützen, wenn dessen Darstellung schlüssig ist, die entsprechende Aufklärung seiner praktizierten ständigen Übung entspricht und die ärztliche Dokumentation die Angaben im Wesentlichen bestätigt.