Geburtsschaden: Niedergelassener Gynäkologe muss 500.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen

Ein CTG überwacht die Gesundheit des Babys im Mutterleib – nicht erst bei der Geburt, sondern oft auch schon bei den Routinechecks beim Frauenarzt. Reagiert ein Arzt nicht (oder zu spät) auf Auffälligkeiten, muss er für die oft schwerwiegenden Folgen geradestehen.

Per Kardiotokografie (CTG), auch Wehenschreiber genannt, können Mediziner sowohl den Herzschlag des ungeborenen Kindes als auch die Wehentätigkeit der Mutter aufzeichnen. Das Verfahren wird nicht nur während der Geburt selbst, sondern auch im letzten Schwangerschaftsdrittel eingesetzt. Die Analyse von CTG-Befunden gehört damit zu den klassischen Aufgaben niedergelassener Gynäkologen – ebenso wie die angemessene Reaktion auf Auffälligkeiten im Rahmen der Untersuchung. Handelt ein Arzt trotz bestehender Verdachtsmomente nicht, muss er für die Folgen haften.
Das belegt ein aktuelles Urteil des Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Az.26 U 102/20).

Vom korrekten Umgang mit Risikopatientinnen

Im konkreten Fall ging es um Schadenersatz für einen im Jahr 2005 mit schweren Schädigungen geborenen Jungen, dessen Mutter sich am Tag vor der Entbindung noch einmal bei ihrem Gynäkologen vorgestellt hatte. Der Arzt kannte die Frau bereits aus zwei vorangegangenen Schwangerschaften und wusste, dass seine Patientin schon einmal wegen eines auffälligen CTG per Kaiserschnitt entbunden hatte.
Da die Frau bereits einen Tag über dem errechneten Geburtstermin war, fertigte der Arzt nach einer vaginalen Untersuchung auch ein 12-minütiges CTG an. Obwohl das CTG unter anderem ein Absinken der kindlichen Herztöne zeigte, hielt der Arzt dies weder im Mutterpass noch als Zusatz zur Einweisung in die Klinik fest. Diese setzte er zudem erst für den nächsten Tag an.
Bereits am Abend desselben Tages stellte sich die Schwangere jedoch auf eigene Initiative im Kreißsaal vor, weil sie das Gefühl hatte, dass die Kindsbewegungen nachgelassen hatten. Ein dort angefertigtes CTG war von Anfang an auffällig, weswegen man sich in der Klinik zu einem Kaiserschnitt entschloss. Der kam allerdings zu spät. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Kind bereits einen schweren Hirnschaden davongetragen. Es wird zeitlebens behindert sein und unter schmerzhaften Krämpfen leiden.

Unterlassen von Klinikeinweisung als schwerer Behandlungsfehler

Im Haftungsprozess ging es unter anderem um die Frage, inwieweit der niedergelassene Gynäkologe für den Geburtsschaden zur Verantwortung gezogen werden kann, weil er die Frau nach dem auffälligen CTG nicht sofort und mit Nachdruck ins Krankenhaus eingewiesen hat. Das Gericht wertete dieses Unterlassen als schweren Behandlungsfehler. Angesichts der Vorgeschichte der Frau und des Befundes habe er von der ungünstigsten Hypothese einer Mangelsituation (Unterversorgung des Ungeborenen) ausgehen und auf eine schnellstmögliche Einleitung der Geburt dringen müssen.
Dies gelte umso mehr, als ein CTG von nur zwölf Minuten Dauer eigentlich nicht aussagekräftig genug sei, um eine pathologische Situation ausschließen zu können.
Dass der niedergelassene Arzt nicht auf die auffälligen Herzfrequenzsmuster hingewiesen habe, sondern die (spätere) Einweisung in die Klinik lediglich mit der Überschreitung des Termins und der geringen Fruchtwassermenge begründet habe, sei als schwerer Behandlungsfehler zu werten. Daher ist er verpflichtet, dem schwer geschädigten Kind ein Schmerzensgeld von 500.000 Euro zu zahlen.

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