Arzthaftung: 50 000 Euro Schmerzensgeld für verspätete Krebsdiagnose
Ein Arzt verwechselt einen Tumor mit einem Bluterguss, die Patientin verstirbt. Nun hat das OLG Frankfurt/M. dem Witwer ein hohes Schmerzensgeld zuerkannt. Das letzte Wort in der Sache ist aber noch nicht gesprochen.
Das Urteil lässt aufhorchen. Im Fall einer 70-jährigen Frau, die nach einer Fehldiagnose ihres Arztes an Krebs gestorben ist, hat das OLG Frankfurt/M. dem Witwer ein für deutsche Verhältnisse hohes Schmerzensgeld zugesprochen (Az.: 8 U 142/18).
Die Patientin hatte sich im Oktober 2010 wegen undefinierbarer Schmerzen und einer Schwellung des rechten Oberschenkels bei einem Orthopäden vorgestellt. Dieser diagnostizierte ein Hämatom und verordnete Schmerzmittel.
Als die Beschwerden anhielten, veranlasste der Arzt Ende November eine MRT-Untersuchung. Auf diese Weise wurde der Tumor schließlich doch noch entdeckt und im Dezember reseziert. Doch der Eingriff kam zu spät. Bereits im Februar 2011 hatte die Patientin eine Metastase entwickelt, sie starb im August 2012.
Ihr Witwer verklagte daraufhin den Arzt und bekam bereits in erster Instanz ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro zugesprochen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung verurteilte das OLG den Arzt nun Zahlung von 50.000 Euro. Der Orthopäde hafte für die durch sein Fehlverhalten entstandenen Schäden, da er die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen habe. Der Tumor hätte gemäß den Angaben des Sachverständigen bereits Ende Oktober erkannt werden können. Bei einer um einen Monat früheren Diagnose wäre die statistische Überlebenschance der Patientin um zehn bis 20 Prozent besser gewesen.
Der Preis von Leid und Verzweiflung
Den Schwerpunkt der Schmerzensgeldbewertung sowohl hinsichtlich der körperlichen als auch psychischen Lebensbeeinträchtigungen legte das Gericht auf den Zeitraum ab Bekanntwerden der ersten Metastase. Von da an sei das dem Arzt nicht zurechenbare Grundleiden samt den damit verbundenen Beschwerden in den Hintergrund getreten. Die Patientin habe ihre Chancen auf eine Genesung zunehmend schwinden sehen und sich auf den immer konkreter bevorstehenden Tod einstellen müssen. Dass ihr Witwer den letzten Lebensabschnitt als geprägt von „schrecklichen Schmerzen, Verzweiflung und Todesangst“ schildere, sei unmittelbar nachvollziehbar und entspreche den „allgemein bekannten furchtbaren Erlebnissen von Menschen mit einer Krebserkrankung im Endstadium.“
Ebenfalls eine Rolle gespielt habe es, dass sich eine 70 Jahre alte verheiratete Frau mit zwei Kindern und zwei Enkelkindern wegen Metastasen zunehmend Sorgen um ihr Leben machen und diversen körperlich und psychisch belastenden medizinischen Eingriffen unterziehen musste. Ab Anfang 2012 sei ihr Kampf ums Überleben immer verzweifelter geworden, die letzten ihr verbleibenden acht Monate seien leidensgeprägt und mit entsetzlichen Schmerzen verbunden gewesen.
Für einen solchen Leidensweg sei ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro angemessen. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes spiele vorliegend hingegen keine Rolle, auch der Grad des Verschuldens des Orthopäden sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien seien von untergeordneter Bedeutung.
Gegen die Entscheidung wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt – das letzte Wort wird nun in Karlsruhe gesprochen (Az. VI ZR 39/21).
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