Schadenersatz für fehlerhafte Hüftprothese: BGH stärkt Patientenrechte
Wie gut müssen die Argumente sein, wenn ein Patient ein – für ihn ungünstiges – medizinisches Sachverständigengutachten entkräften will? Ein aktueller Beschluss des BGH macht Mut.
Pro Jahr erhalten in Deutschland rund 200 000 Menschen ein künstliches Hüftgelenk. Ob die OP ein Erfolg wird, hängt aber nicht nur vom Können des Chirurgen ab, sondern von der Qualität des verwendeten Materials.
Was aber müssen Patienten tun, wenn sie befürchten, eine mangelhafte Prothese erhalten zu haben? Diese Frage musste vor kurzem der BGH im Fall einer Frau klären, die im Jahr 2007 eine sogenannte Durom-Oberflächenersatzprothese erhalten hatte und mit dem Ergebnis nicht zufrieden war.
Ab dem Jahr 2014 traten bei der Frau Beschwerden auf. Als Ursache vermutete sie einen erhöhten Metallabrieb der Prothese. Entsprechend ließ sie regelmäßig ihr Blut untersuchen, um Chrom- und Kobaltwerte zu ermitteln. Schließlich erhob sie eine Produkthaftungsklage gegen den Hersteller der Prothese und verlangte die gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für (künftige) materielle und immaterielle Schäden.
Der lange Weg nach Karlsruhe
In der ersten Instanz blieb die Klage ohne Erfolg, da ein vom Landgericht eingeholtes toxikologisches Gutachten keine auffälligen Metallwerte belegte. Die Patientin übersandte dem Gericht daraufhin ein Attest, wonach sie die typischen Folgen eines Pseudotumors zeige. Sie trug weiter vor, dass es möglich sei, dass der Körper Metalldepots bilde, die nicht in Blutuntersuchungen zu erkennen seien.
Mit Verweis auf ihre Symptome machte sie in einem weiteren Schriftsatz zudem geltend, es sei unzulässig, orthopädische Fragen, und damit auch die, ob ein Pseudotumor vorliege oder nicht, mit einem toxikologischen Gutachten beantworten zu lassen. Stattdessen müsse der Beweis mit einem orthopädischen Gutachtens erhoben werden.
Das Landgericht wies dies zurück. Die Klägerin legte Berufung ein. Diese wurde zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wandte sich die Frau mit einer Nichtzulassungsbeschwerde – und hatte vor dem BGH schließlich Erfolg (BGH, Az. VI ZR 1104/20)
Keine überhöhten Anforderungen an die Einwendungen medizinischer Laien
Die Karlsruher Richter verwiesen die Sache zurück an das OLG München. Dort habe man es versäumt, neben dem toxikologischen auch ein orthopädisches Gutachtens anzufordern. Das sei erforderlich gewesen, da das von der Frau eingereichte ärztliche Attest auf typische Symptome eines Pseudotumors hingewiesen habe. Das Gericht habe offenkundig überhöhte Anforderungen an die Substanziierungspflicht der Patientin gestellt und damit deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Nach Meinung des BGH dürfen im Produkthaftungsprozess an den Vortrag medizinischer Laien – wie im Arzthaftungsprozess – nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. Wer kein Arzt sei, müsse keine detailliert Kenntnis über medizinische Vorgänge haben und sei auch nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung eben jenes Fachwissen anzueignen. Dies gelte sowohl für den klagebegründenden Sachvortrag als auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten.
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht in Hanau:
Die Entscheidung des IV. Zivilsenats überträgt die Linie der Rechtsprechung bei Arzthaftungsfragen auf die Haftung für Medizinprodukte. Für die betroffenen Patienten sind das gute Nachrichten. Dennoch gilt auch nach dem Beschluss: Die Chancen, in einem gerichtlichen Verfahren zu obsiegen, hängen maßgeblich davon ab, wie detailliert der Vortrag im Verfahren ist. Wer von Anfang ein einen spezialisierten Rechtsanwalt ins Boot holt, erhöht seine Erfolgsaussichten und spart sich unter Umständen einen nervenaufreibenden und kostspieligen Prozess über mehrere Instanzen.