Arzneimittelrückruf: Welche Rechte haben Patienten, die (womöglich) verunreinigte Medikamente erhalten haben?
Ein Pharmaunternehmen ruft ein Medikament zurück, weil einzelne Chargen mit einem potenziell krebserregenden Stoff verunreinigt sind. Eine Patientin entwickelt daraufhin einen Tumor und klagt. Zu Recht?
Produktrückrufe in der Pharmaindustrie sind heikel und führen fast immer zu Rechtsstreitigkeiten. So auch im Fall des Mittels Valsartan, eines AT 1-Antagonisten, der unter anderem zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt wird.
Konkret ging es den Chargenrückruf von Valsartan AbZ durch einen Pharmahersteller, der mit verschiedenen Wirkstoffherstellern zusammenarbeitete. Bei einem der Vertragspartner hatte es eine produktionsbedingte Verunreinigung mit einem für Menschen wahrscheinlich krebserregenden Stoff gegeben. Der Rückruf des Unternehmen umfasste alle Packungsgrößen und Chargen, auch die von anderen Wirkstoffherstellern.
Nun stellte sich die Frage, wie die Rechtslage sich darstellt, wenn Patienten an Krebs erkranken, von denen sich nicht vollumfänglich klären lässt, ob sie Präparate aus den fraglichen Chargen eingenommen haben. Das musste vor Kurzem das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt klären – und kam zu einem erfreulichen Urteil (Az. 26 U 62/19).
Vollbeweis ist nicht erforderlich
Eine Frau, die argwöhnte, Medikamente aus einer der verunreinigten Charge eingenommen zu haben, hatte später bösartige Zellveränderungen entwickelt. Sie verklagte daraufhin den Pharmahersteller und begehrte sowohl Auskunft über die Wirkung des Medikaments als auch Schmerzensgeld.
In der ersten Instanz hatte sie mit ihrem Ansinnen keinen Erfolg. Das OLG Frankfurt gab ihrer Klage aber zumindest zum Teil statt. Auch wenn die Frau nicht jede Chargen- und Produktnummer notiert hatte, habe sie doch ausreichend dargelegt, dass sie das Medikament im fraglichen Zeitpunkt eingenommen habe. Im vorliegendem Fall liege die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau ein Medikament aus der verunreinigten Charge eingenommen hat, bei 97 Prozent, so das Gericht. Das genüge, um einen Anspruch nach § 84a Arzneimittelgesetz auf Auskunft gegen das Pharmaunternehmen zu begründen. Die Frau hat also ein Recht darauf, die bekannten Wirkungen und Erkenntnisse zu ihrem Medikament zu erhalten.
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht:
Das Urteil ist erfreulich, weil es geschädigten Patientinnen bei Arzneimittel-Rückrufen nicht dazu verpflichtet, einen Vollbeweis zu erbringen. Stattdessen reicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit, um ein Auskunftsrecht gegen das Pharmaunternehmen zu erhalten. Abzuwarten bleibt, ob das auch genügt, um letzten Endes den begehrten Schadenersatz zu erstreiten.