Kasse muss in Deutschland nicht zugelassenes Medikament bezahlen

Ein Patient mit schweren Augenleiden droht zu erblinden. Seine einzige Hoffnung: ein Deutschland nicht zugelassenen Präparat. Als seine Kasse die Kostenerstattung verweigert, klagt der Mann – und bekommt Recht.
Welche Medikamente muss die Kasse einem Patienten zahlen, dem der Verlust seines Sehvermögens droht, der aber die in Deutschland zugelassenen Mittel für sein Krankheitsbild nicht verträgt? Diese Frage beschäftigte vor kurzem das Sozialgericht Leipzig.
Im konkreten Fall ging es um einen 1955 geborene Mann. Er leidet nicht nur an einem beidseitigem Glaukom mit Gesichtsfeldausfällen, sondern auch unter degenerativen Abweichungen der zentralen Netzhaut – es droht eine Netzhautablösung. Der Patient, der schon seit Jahren mit seinen schweren Augenkrankheiten kämpft, hatte sich zuletzt einer Therapie mit „Travatan Z“ unterzogen, einem in Deutschland nicht zugelassenem augeninnendrucksenkenden Prostaglandin. Die Kasse zahlte die Behandlung zunächst.
2017 beantragte die Ärztin des Mannes die weitere Kostenübernahme für „Travatan Z“. Das Präparat erziele in Kombination mit den Augentropfen „Cosopt S“ und „Clonid opthal“ die besten Ergebnisse, da der Patient alle handelsüblichen in Deutschland zugelassenen konservierungsmittelfreien Prostaglandinanaloga entweder nicht vertrage oder nicht auf die Behandlung anspreche.
Die Kasse allerdings lehnte die Kostenübernahme diesmal ab. Ihr Argument: In Deutschland gebe es ein unter dem Handelsnamen „Taflotan sine“ ein Prostaglandinanalogon, das wirtschaftlicher sei als Travatan Z. Außerdem sei „Travatan Z“ weder in Deutschland zugelassen noch konservierungsmittelfrei, da es Borsäure enthalte.

Versuche mit deutschem Medikament verschlechtern das Krankheitsbild

Der Mann legte gegen diese Bescheid Widerspruch ein. Nur das Import-Arzneimittel „Travatan Z“, führe, zusammen „Cosopt S“ und „Clonid opthal, zu einem konstantem Augendruck. Er habe verschiedene Kombinationen getestet, alle aber hätten entweder nicht gewirkt oder er habe sie nicht vertragen. Auch „Taflotan sine“ habe er bereits angewandt – erfolglos.
Durch hohen Augeninnendruck während dieser Experimentierphase habe er weiter Sehkraft verloren, darüber hinaus sei es zu Gesichtsfeldeinschränkungen und Eintrübungen sowie weiteren Wechsel- und Nebenwirkungen gekommen. Mehrere Universitätskliniken hätten Berücksichtigung seines individuellen Falles die Augentropfen entsprechend abgestimmt. Er benötige das in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel, weil er sonst zu erblinden drohe.

Verlust des Augenlichts steht lebensbedrohlicher Krankheit gleich

Die Kasse blieb stur, der Fall wurde streitig. Vor dem Sozialgericht Leipzig erzielte der Patient am Ende einen Erfolg. Das Gericht hob den ablehnenden Bescheid der Kasse auf und verurteilte diese zur Übernahme der Behandlungskosten für „Travatan Z“ (Az. S 8 KR 188/18)
Das Argument: Für „Travatan Z“ als nicht zugelassenes Import-Fertigarzneimittel bestehe ausnahmsweise ein Versorgungsanspruch, weil hier eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung vorliege, für die eine anerkannte, medizinischem Standard entsprechende, Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Durch „Travatan Z“ bestehe eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
Das Glaukom an beiden Augen bedrohe das Augenlicht des Klägers und sei damit wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung gleichzusetzen. Mit „Travatan Z“ sei der Augeninnendruck des Klägers gut eingestellt gewesen. Es stehe nach Angaben des Sachverständigen auch kein alternatives Arzneimittel zur Verfügung.

Kommentar von Fachanwalt für Medizinrecht, Jürgen Wahl:

Der sogenannte Off-label-Einsatz von Medikamenten, also die Gabe von Arzneien, die für eine bestimmte Behandlung in Deutschland (noch) nicht zugelassen sind, führt immer wieder zum Streit mit den gesetzlichen Krankenkassen. Um in solchen Auseinandersetzungen Erfolg zu haben, ist eine umfassende Dokumentation des bisherigen Verlaufs der Erkrankung durch den Arzt elementar. Gleiches gilt für die Erfolglosigkeit der Behandlung mit zugelassenen Präparaten oder Kontraindikation (Unverträglichkeiten etc.) Wer gegen einen ablehnenden Bescheid der Kasse vorgehen will, muss zudem recht knapp bemessene Fristen beachten. Wer frühzeitig einen erfahrenen Rechtsanwalt für Medizinrecht einschaltet, stellt sicher, dass er auch in schwierigen Fällen zu seinem Recht kommt.