Überweisung von Patienten: Wann haftet der Konsiliararzt?
Wenn Ärzte arbeitsteilig zusammenwirken, stellt sich stets die Frage, welcher Mediziner im Fall der Fälle für Behandlungsfehler geradestehen muss. Das OLG Hamm hat dazu gerade ein eindeutiges Urteil gesprochen.
Zieht ein Arzt einen Facharzt zur Behandlung eines Patienten hinzu, bleibt die Verantwortung für die Gesamtbehandlung dennoch beim überweisenden Arzt. Der Konsiliararzt haftet dafür, dass der behandelnde Arzt seine Empfehlungen nicht oder verspätet umsetzt. Diese Entscheidung des OLG Hamm (Az. 26 U 131/19) ist wichtig für alle Patienten, bei deren (fehlerhafter) Behandlung mehrere Ärzte zusammengewirkt haben.
Im konkreten Fall ging es um ein Mädchen, das November 2013 als Frühgeburt zur Welt kam. Angesichts eines Geburtsgewichtes von gerade einmal 560 Gramm bestand ein hohes Risiko für eine sogenannten Frühgeborenen-Retinopathie (ROP). Der Begriff bezeichnet eine Netzhautschädigung, die auf die gestörte Blutgefäßentwicklung der Retina aufgrund der Unreife des Frühgeborenen zurückgeht und die unbehandelt zur Blindheit des Patienten führen kann. Um Sehbehinderungen zu vermeiden, müssen die jungen Patienten daher strikt durchgetaktete Screening-Programme durchlaufen.
Rund einen Monat nach der Geburt untersuchten daher niedergelassene Augenärzte, die konsiliarisch für die Geburts-Klinik tätig waren, das Baby. Es zeigte sich beidseits eine avaskuläre Netzhaut mit Vaskularisationsgrenze II sowie eine Glaskörpertrübung in Zone III – das erste von drei Stadien der ROP. Eine zweite Untersuchung durch die Konsiliarärzte zeigte auf beiden Augen keine ROP. Aufgrund einer weiterhin vorgefundenen avaskulären Netzhaut in Zone II empfahlen die Konsiliarärzte jedoch leitlinienkonform eine erneute augenärztliche Untersuchung in einer Woche. Kurz darauf ergab eine dritte augenärztliche Untersuchung am 10.12.2013 durch einen der Konsiliarärzte erneut keine ROP auf beiden Augen. Demgegenüber lag weiterhin eine avaskuläre Netzhaut in Zone II vor, so dass der Konsiliararzt erneut eine leitliniengetreue Empfehlung zur Kontrolluntersuchung in einer Woche ausgesprochen wurde.
Wenn wertvolle Wochen verringen
Die Klinikärzte forderten allerdings keine weitere solche engmaschige Untersuchung bei den Konsiliarärzten an, sondern ordneten erst drei Wochen später eine erneute konsiliarische Untersuchung des Babys an. an: Diese zeigte nun die akute Phase einer ROP mit beidseits prominenter Leiste (Stadium 2), extraretinalen Proliferationen (Stadium 3) in Zone II, mittelschweren Dilatationen und/oder Gefäßschlengelung (pludisease), Blutungen in Zone I und II sowie einer pathologischen Pupillenrigidität.
Mittlerweile hat das Mädchen sein Augenlicht weitgehend verloren und verklagte wegen fehlerhafter Behandlung sowohl die Klinik- als auch die Konsiliarärzte. Letztere hätten es in fehlerhafter Weise unterlassen, das Kind eine Woche nach der Kontrolluntersuchung vom 10.12.2013 wieder zu untersuchen. Dadurch seien die Behandlung verzögert und der Sehverlust hervorgerufen worden.
Einer muss den Hut aufhaben
Die Klinik hat ihre Haftung anerkannt. Die Konsiliarärzte hingegen waren sich keiner Schuld bewusst – und bekamen vor dem OLG Hamm am Ende Recht.
Zur Begründung führt das Gericht aus: Der hinzugezogene Arzt (Konsiliararzt) sei regelmäßig an den konkreten Auftrag des überweisenden Arztes gebunden. Die Behandlungsverantwortung verbleibe aber auch in einer solchen Konstellation beim überweisenden Arzt.
Nach dem Ende seiner Behandlung könne und müsse sich der konsiliarisch hinzugezogene Arzt im Regelfall darauf verlassen, dass der überweisende Kollege seinen Empfehlungen folge und die erforderlichen Maßnahmen veranlasse. Der Konsiliararzt müsse daher in der Regel auch nicht rückfragen, wie die Behandlung weiterging und insbesondere keinen „Fristenkalender“ führen.
Kommentar von Fachanwalt für Medizinrecht, Jürgen Wahl:
Die Verantwortung für den Patienten liegt grundsätzlich beim behandelnden Arzt bzw. bei der behandelnden Klinik. Diese müssen den Behandlungsablauf überwachen und Empfehlungen der konsiliarisch hinzugezogenen Spezialisten umsetzen. Tun sie dies nicht, so haften sie dafür. Eine Haftung des rechtmäßig handelnden Konsiliararztes ist dann jedoch ausgeschlossen.