Sportlehrer müssen Erste-Hilfe leisten

Bricht ein Schüler im Sportunterricht bewusstlos zusammen und hat einen Atemstillstand, reicht es nicht aus, dass der Sportlehrer nur den Notruf wählt. Sportlehrer müssen auch reanimieren um mögliche Gesundheitsschäden, wie etwa einen Hirnschaden, zu vermeiden, so der BGH – Az. III ZR 35/18.

Schüler bricht im Sportunterricht zusammen – Der Sachverhalt

Während des Aufwärmtrainings leidet ein 18-jähriger Schüler des 13. Jahrgangs an Kopfschmerzen. Er unterbricht das Training und bricht kurz danach neben einem Garagentor zusammen. Die anwesenden Sportlehrer rufen zwar den Notruf, aber reanimieren nicht. Der Rettungsdienst traf etwa 5 Minuten, der Notarzt 8 Minuten, nach der Alarmierung ein.

Keine Lebenszeichen mehr erkennbar

Während der Zeit, die der Rettungsdienst zu dem Schüler brauchte, wurde die Lehrerin gefragt, ob der Schüler noch atmen würde. Sie selbst aber betreute den Schüler nicht und überlies dies den anwesenden Schülern. Die Schüler gaben u.a. bei den Gerichtsbefragungen an, dass der Schüler bereits blau angelaufen war, bevor der Rettungsdienst eingetroffen ist. Zwar wurde die Lehrerin von der Rettungsstelle nach den Lebenszeichen gefragt, jedoch kontrollierte weder die Sportlehrerin, noch ein herbeigeeilter Kollege die Lebenszeichen des Schülers. Die Rettungsstelle wies die Sportlehrer lediglich an, den Schüler in die stabile Seitenlage zu bringen.

Schüler erleidet Hirnschaden

Nachdem der Rettungsdienst eintraf, wurde sofort mit der Reanimation begonnen, weil die Lebenszeichen des Schülers nicht mehr vorhanden waren. Nach einer fast 45-müntigen Reanimation des Schülers konnte dieser zwar wiederbelebt werden, jedoch erlitt er durch die Sauerstoffunterversorgung einen irreparablen hypoxischen Hirnschaden.

Eltern: Sportlehrer hätten Hirnschaden verhindern können

Die Unfallkasse Hessen lehnte die Zahlung von Schadensersatz als Entschädigungsleistung ab, da es sich bei dem Atemstillstand nicht um einen Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handelte. Die Eltern des schwergeschädigten Schülers gingen daher gegen die Lehrer und das Land Hessen gerichtlich vor und verlangten Schmerzensgeld und Schadensersatz. Hätten die Lehrer ihre Pflicht erfüllt und im Rahmen der notfallmäßigen Erste-Hilfe-Versorgung eine Kontrolle der Lebenszeichen durchgeführt, wäre mit der Reanimation früher begonnen worden. Durch die früher begonnene Reanimation hätte der hypoxische Hirnschaden vermieden werden können.

Gerichte: Zeitpunkt des Atemstillstands unklar

Das Landgericht Wiesbaden und das Oberlandesgericht lehnten die Klagen der Eltern und des Schülers ab. Das OLG Frankfurt lehnte die Berufung schon deshalb ab, weil es sich nicht sicher feststellen ließe, dass die unterlassene Kontrolle der Atmung und die sich anschließenden möglichen Reanimationsversuche auf den Gesundheitszustand ausgewirkt haben. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Atmung des Schülers erst kurz vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt habe und damit die Sportlehrer gar keinen Reanimationsversuch unternehmen mussten. Wann die Atmung des Schülers ausgesetzt habe, sei für das Gericht nicht zu ermitteln. Eine Beweislastumkehr, wie bei groben ärztlichen Behandlungsfehlern, scheide allerdings aus.

Lehrer und Ärzte: keine Beweislastumkehr bei (groben) Pflichtverletzungen von Lehrern

Eine Beweislastumkehr scheide schon deshalb aus, so das OLG und der BGH, weil Lehrer hinsichtlich einer Pflicht Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen nicht mit Ärzten zu vergleichen sind. Bei Lehrern gehöre die Pflicht Reanimationen zu versuchen nur zu den Nebenpflichten. Ärzte sind hingegen zu Erste-Hilfe-Maßnahmen verpflichtet. Hätten die Gerichte eine Beweislastumkehr wie bei groben ärztlichen Behandlungsfehlern angenommen, hätten die Beklagten Lehrer beweisen müssen, wann der Atemstillstand bei dem Schüler eingetreten ist. Zwar hätten die Sportlehrer vermutlich nicht den Schülern die Vitalzeichenkontrolle überlassen dürfen und hätten selbst reagieren müssen, aber dies bringt sie nicht in eine ähnliche Position wie Ärzte. Somit trifft die Kläger die volle Last alle Tatsachen vorzubringen, die den Zusammenhang zwischen der (Amts-)-Pflichtverletzung (unterlassene Erste-Hilfe-Maßnahmen) und dem eingetretenen Gesundheitsschaden darlegen.

BGH: Verfahrensfehler durch unterlassenes Sachverständigengutachten

Auch der BGH teilte die Ansicht, dass die (Amts-)-Pflichten von Lehrern und Ärzten nicht vergleichbar sind und somit bei groben Pflichtverletzungen nicht analog die Beweislastverteilung aus dem Behandlungsfehlerrecht anzuwenden sei. Allerdings hat es das OLG versäumt besser auszuforschen, wann der Kläger einen Atemstillstand erlitten hat. Ein entsprechender Beweisantrag wurde vom OLG sogar abgelehnt. Da es für eine Haftung jedoch gerade auf die Frage ankommt, wann der Kläger einen Atemstillstand erlitt, hätte ein solches Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Die Ablehnung des Beweisantrags stellt einen Verfahrensfehler dar und die Entscheidung des OLG war deshalb aufzuheben.

Was der Fachanwalt dazu sagt

Ob Ärzte und Lehrer miteinander hinsichtlich schwerer Pflichtverletzungen vergleichbar sind, haben die Gerichte mit Nein beantwortet. Allerdings muss ein Sportlehrer, der notfallmäßig auch in Erste-Hilfe-Maßnahmen ausgebildet sein muss, mehr tun, als lediglich den Notruf zu wählen. In jedem Fall kann man den Lehrern vorwerfen, dass sie hätten mehr tun als nur den Notruf zu wählen. Da die Tätigkeit als Lehrer in der Nebenpflicht auch beinhaltet für die Sicherheit der Schüler zu sorgen und im Sportunterricht durchaus auch lebensbedrohliche Gesundheitszustände entstehen können, greift die Ablehnung einer Haftung durch die Instanzgerichte zu kurz.

Lehrer müssen die Sicherheit der Schüler gewährleisten

Doch muss man feststellen, dass eine ähnliche Sachlage wie bei groben ärztlichen Behandlungsfehlern gegeben ist. Die Lehrer greifen nicht ein, obwohl gerade sie diejenigen sind, die für die Sicherheit der Schüler zuständig sind. Von den Lehrern wurde auch nicht „übermenschliches“ Handeln verlangt, sondern in erster Linie die Kontrolle der Vitalzeichen. Dies hätte bereits ausgereicht um durch die Rettungsleitstelle weitere Anweisungen durchgesagt zu bekommen, selbst wenn die Lehrer nicht in Erste-Hilfe-Maßnahmen unterwiesen gewesen wären. Und dies kann als ähnlich schwerer Pflichtverstoß wie bei groben ärztlichen Behandlungsfehlern gesehen werden.

Haben Sie Fragen zu Behandlungsfehlern? Oder zur Haftung nach einer unterlassenen Reanimation?

Die richtige Adresse für solche Fragen ist ein Fachanwalt. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Er kennt sich im Arzthaftungsrecht bestens aus und sorgt dafür, dass Sie Ihr Recht durchsetzen. Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 069 / 82 37 66 42 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-offenbach.de.