Behandlungsfehler: Hohes Schmerzensgeld nach vermeidbarem Verlust beider Unterschenkel

Ihre Herz-Operation verlief reibungslos. Dennoch verließ eine Patientin aus Hamburg die Klinik als gebrochene Frau – und im Rollstuhl. Nun hat das Landgericht Hamburg in dem Fall ein Urteil gesprochen.

Dass Patienten nach operativen Eingriffen Mittel zur Thromboseprophylaxe erhalten, ist Standard. Einer Patientin aus Norddeutschland wurde diese Vorsichtsmaßnahme allerdings zum Verhängnis.
Fünf Tage nach der Operation klagte die 50-jährige Frau erstmals über starke Schmerzen in den Beinen. Doch statt nach der Ursache für die Beschwerden zu suchen, versorgte sie das Personal nur mit Schmerzmitteln. Erst nach zehn Tagen, als es der Patientin bereits miserabel ging und die Schmerzen unerträglich waren, kam man in der Klinik auf die Idee, den Gewebedruck durch Öffnungen an den Beinen chirurgisch zu entlasten – zu spät, wie sich herausstellte: Wenig später mussten die Ärzte der Frau beide Unterschenkel unterhalb der Kniegelenke amputieren.
Die Frau ist seitdem auf einen Rollstuhl und Pflege angewiesen und leidet unter psychischen Problemen. Zudem ist sie seit dem Eingriff arbeitsunfähig und bezieht Frührente.

Grober Verstoß gegen ärztliche Standards

Das Landgericht Hamburg, das sich nun mit dem Fall beschäftigen musste, befand: Die Klinik hat die – wenn auch sehr seltenen – Nebenwirkungen des Thrombosemittels zu spät bemerkt, obwohl es dafür deutliche Hinweise gegeben habe. Neben den Klagen der Patientin über Schmerzen in den Beinen hätten die Laborwerte auch eine dramatisch gesunkene Zahl der Blutplättchen angezeigt, weswegen die Durchblutung immer schlechter geworden sei.
Es sei davon auszugehen, so das Gericht, dass der Klägerin bei einer „standardgerechten Behandlung“ sowohl die chirurgische Öffnung der Beine als auch die Amputationen erspart geblieben wären. Entsprechend hatte auch der Sachverständige festgestellt, dass der Klinik ein „grober Behandlungsfehler“ unterlaufen sei.
Nach dem Urteil des LG Hamburg muss die Klinik der Frau nun 170 000 Euro Schmerzensgeld zahlen und für alle weiteren Folgen des Fehlers aufkommen. Ob es dabei bleibt, ist allerdings offen: Erstens ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, zweitens hat die Klägerseite bereits signalisiert, dass sie ohne eine schnelle Einigung weitere Prozesse anstrengen will. Im Raum steht eine Gesamtsumme von bis zu 850 000 Euro.

Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht in Hanau:

Grundsätzlich gilt jede nachgewiesene Abweichung vom ärztlichen Soll-Standard als (einfacher) Behandlungsfehler. Ein „grober“ Behandlungsfehler liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

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