Arzthaftung: Das machen wir doch immer so….

Bei der Aufklärung gilt eigentlich der Grundsatz: „Was der Arzt nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gesagt“. Und doch gibt es Fälle, in denen Patienten trotz lückenhafter Unterlagen einen Prozess verlieren.
Der Ballenzeh (Hallux valgus) ist eine der häufigsten Fehlstellungen des Fußes. Oft hilft den Betroffenen nur eine Operation, um die Beschwerden zu lindern. In vielen Kliniken gehören solche Eingriffe daher zum Standard. Doch bedeutet das auch, dass die verantwortlichen Ärzte Privilegien genießen, was die Dokumentation der Patienten-Aufklärung anbelangt?
Diesen Schluss scheint zumindest das Landgericht Bielefeld zu ziehen, das sich in einer aktuellen Entscheidung mit dem Fall einer Frau beschäftigen musste, die sich ebenfalls am Fuß operieren ließ, um ihren Hallux loszuwerden.

Verzögerter Heilungsprozess

Der Eingriff verlief zunächst plangemäß. Am Tag nach der Operation sah der behandelnde Arzt die Patientin im Rahmen der Visite. Zudem unternahm die Frau zusammen mit einem Physiotherapeuten Gehübungen mit einem Vorfußentlastungsschuh. Wenig später wurde sie entlassen.
Als sich die Patientin zwei Monate später wieder in der Klinik vorstellte, zeigt sich allerdings, dass der Heilungsprozess nicht wie erhofft verlief. Da die Frau zu Hause keine Mobilisationsübungen durchgeführt hatte, hatte sich das operierte Großzehengelenk versteift. Die Frau erhielt daraufhin die dringende Empfehlung, dieses Versäumnis nachzuholen. Dem leistete sie auch Folge. Ihr Zustand besserte sich deutlich.
Dennoch verklagte sie das Krankenhaus und verlangte mindestens 5000 Euro Schmerzensgeld. Verglichen mit Zustand unmittelbar nach der Operation gehe es ihr inzwischen zwar besser. Sie leide aber nach wie vor unter Einschränkungen, insbesondere seien ihre Zehen nicht so beweglich wie früher. Dies führte die Patientin auf die fehlenden Übungen direkt nach dem Eingriff zurück – und eine mangelnde Information durch den behandelnden Arzt.
Der habe sie nicht über die erforderlichen Eigenmobilisationsübungen aufgeklärt. Vielmehr habe sie erst zwei Monate nach der OP erfahren, dass diese nötig seien. Durch dieses Versäumnis sei der Zeh nie vollständig ausgeheilt. Wegen der ungünstigen Druckbelastung leide sie zudem Rückenschmerzen und sei auf Medikamente und Physiotherapie angewiesen.

Dokumentation der Aufklärung fehlt

Tatsächlich ließ sich den Behandlungsunterlagen der Klinik nicht entnehmen, dass der Arzt die Frau auf die erforderlichen Übungen hingewiesen hatte. Allerdings sagten eine Oberärztin und eine Physiotherapeutin vor Gericht aus, dass es in ihrem Haus seit langem Standard sei, Patienten nach einer Zehengelenkoperation mündliche Hinweise zu Eigenmobilisationsübungen zu erteilen. Auch gebe man den Betroffenen stets eine Broschüre mit konkreten Anleitungen mit nach Hause. Diese Aufklärung werde „immer so“ vorgenommen.
Zwar konnten sich die beiden Zeuginnen nicht an die konkrete Patientin erinnern – und damit auch nicht an deren Aufklärung. Dem Landgericht Bielefeld genügten die Aussagen aber dennoch, um die Klage der Patientin abzuweisen (Az. 4 O 415/20).
Insbesondere die Aussage des Arztes, dass eines der Hauptthemen in den Besprechungen mit den Patienten stets die Nachbehandlung sei, weil die Operation zur Beschwerdelinderung „nur die halbe Miete“ darstelle, überzeugte das Gericht. Sie wurde zudem durch den Operationsbericht belegt, der ebenfalls eine „sofortige Mobilisation des Großzehengrundgelenkes“ vorsah. In der Gesamtschau sprächen diese Punkte gegen die von der Patientin behauptete Verletzung der Aufklärungspflicht, so das Gericht. Ein Schmerzensgeldanspruch stehe ihr daher nicht zu.

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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann ein Rechtsanwalt mit genauen Kenntnissen im Arzthaftungsrecht beurteilen. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht.
Sie erreichen ihn unter der Telefonnummer 06181 / 70333-20 oder per E-Mail unter recht@arzthaftung-hanau.de