Wann ist ein medizinischer Sachverständiger befangen?

Eine Krähe hakt der anderen kein Auge aus, lautet ein altes Sprichwort. Doch stehen Ärzte wirklich immer auf der Seite ihrer Kollegen? Nicht unbedingt, wie ein aktuelles Urteil belegt.

Wer fürchtet, Opfer eines ärztlichen Behandlungsfehlers geworden zu sein, hat oft einen steinigen Weg vor sich: Bevor ein Gericht ihm Schadenersatz und Schmerzensgeld zuspricht, muss der Verdacht in der Regel durch ein medizinisches Sachverständigengutachten bestätigt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass ein Mediziner im Prozess die Arbeit eines Kollegen bewertet. Doch nicht immer erfolgt die Einordnung eines Behandlungsfehler in der Deutlichkeit, die sich der oder die Geschädigte wünscht.
In solchen Konstellationen ist oft der Satz zu hören, dass „eine Krähe der anderen eben kein Auge aushackt.“ Doch ist das wirklich zutreffend? Eine aktuelle Entscheidung des OLG Dresden lässt das zweifelhaft erscheinen. Zwar war auch hier eine Prozesspartei mit den Aussagend es medizinischen Sachverständigen unzufrieden – allerdings handelte es sich dabei um die beklagte Klinik. Sie wandte sich gegen den Gutachter, weil dieser vermeintlich zu negativ und voreingenommen war.
Und das war passiert:
Ein Mann hatte wegen Übelkeit und Kopfschmerzen die Notaufnahme des beklagten Krankenhauses aufgesucht und war dort mit Schmerzmitteln behandelt worden. Auf weitergehende Untersuchungen verzichteten die diensthabenden Ärzte, insbesondere führten sie keine Computertomographie (CT) durch, um der Ursache der Schmerzen auf den Grund zu gehen. Als die Beschwerden des Patienten anhielten, suchte dieser eine zweite Klinik auf. Hier sahen die Ärzte genauer hin, schoben den Mann ins CT, stellten fest, dass er eine Hirnblutung hatte und führten daraufhin eine Liquordrainage durch, wenig später erfolgte eine Shunt-Anlage.
Die Behandlungen konnten jedoch nicht alle Folgen der Blutung beseitigen. Nach wie vor leidet der Patient unter partiellen Hirnleistungsminderungen und leichten Aufmerksamkeitsstörungen. Er verklagte daher Klinik Nummer eins auf Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen eines groben Behandlungsfehlers. Hätte er sofort eine sachgerechte Versorgung erhalten, wären ihm weitergehende Schmerzen sowie die Folgeschäden mit hoher Wahrscheinlichkeit erspart geblieben.
Die Klinik sah das anders. Obwohl bereits die Sächsische Landesärztekammer festgestellt hatte, dass der Kläger bei seinem ersten Krankenhausbesuch nicht entsprechend dem Facharztstandard behandelt worden war, beharrten deren Vertreter darauf, dass die Versorgung dessen Anforderungen genügt habe. Die Kopfschmerzen hätten nur eine mittlere Intensität aufgewiesen, daher sei dem Sorgfaltsmaßstab in der Notfallambulanz die durchgeführte Untersuchung und Diagnostik vertretbar gewesen.

Zwei Ärzte – drei Meinungen?

Um den Dingen auf den Grund zu gehen, beauftragte das Landgericht Dresden den Sachverständigen PD Dr. C.H. mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob ein Behandlungsfehler, insbesondere durch Unterlassen einer bildgebenden Diagnostik vorliege.
Dieses Gutachten kam bei der beklagten Klinik nicht gut an. Sie beantragte, den Sachverständigen als befangen abzulehnen, unter anderem, weil er voreingenommen gewesen sei und schon bei der Aufzählung der zur Begutachtung herangezogenen Unterlagen eine negative Bewertungen zu ihren Lasten vorgenommen habe. Außerdem habe er in einem Zivilprozess von einem „Ermittlungsverfahren“ gesprochen – dieser Terminus sei aber ganz klar dem Strafrecht zugeordnet.

Juristische Ungenauigkeiten sind Ärzten erlaubt

Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden folgte den Ausführungen nicht (Az. 4 W 641/20) und betonte zunächst, das medizinische Sachverständige juristische Rechtsbegriffe durchaus falsch verwenden dürften, ohne dass dies eine Besorgnis der Befangenheit begründet. Ein Sachverständiger müsse auch nicht zwischen dem streitigen und unstreitigem Vortrag von Patient und Klinik unterscheiden und damit auch nicht zwischen Sachverhaltsangaben in der Klageschrift und anderslautenden Angaben in einem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben.
Auch dass der Gutachter ausgeführt habe, ein Student würde bei Verkennung der Symptomatik einer Subarachnoidalblutung durch sein Staatsexamen fallen, begründete nach Meinung des Gerichts nicht den Vorwurf der Befangenheit. Vielmehr habe der Gutachter durch die Formulierung beispielgebend die besondere Schwere des Fehlers veranschaulicht und dem Gericht damit als eine Entscheidung ermöglicht, ob im vorliegenden Fall ein leichter oder ein grober Behandlungsfehler vorliegt.

Anwaltskanzlei für Arzthaftungsrecht in Hanau, Fachanwalt für Medizinrecht Jürgen Wahl