Arzthaftung wegen Behandlungsfehler nach Frühgeburt
Wenn Kinder deutlich vor dem errechneten Geburtstermin zu Welt kommen, besteht stets das Risiko, dass sie gesundheitliche Probleme entwickeln. Umso wichtiger ist es, dass Frühchen umfassend und behandlungsfehlerfrei betreut werden. Welche Anforderungen an ihre Versorgung zu stellen sind und wann etwaige Beeinträchtigungen auf Versorgungsfehler zurückgehen, beschäftigt die Gerichte immer wieder. So auch in einem Fall, über den vor Kurzem der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden hatte.
Im konkreten Fall ging es um ein Jungen, der in der 23. Schwangerschaftswoche zur Welt kam und intensivmedizinisch betreut werden musste. Da das Kind eine Operation am Herzen benötigte, wurde ihm etwa drei Wochen nach der Geburt ein Verweilkatheter in die Arteria brachialis gelegt, obwohl eine Woche zuvor eine Durchblutungsstörung in der Arteria radialis des gleichen Arms aufgetreten war. Auch nach der Operation wurde der Katheter nicht sofort entfernt, obwohl die linke Hand des Kindes bei der postoperativen Umlagerung in den Inkubator bereits blau verfärbt war.
Am Ende mussten dem Neugeborenen die linke Hand und ein Teil des Unterarmes amputiert werden.
Reichweite einer hypothetischen Einwilligung
Im Verfahren vor dem BGH ging es um die Frage, ob die Amputation auf einen ärztlichen Behandlungsfehler zurückging und ob die Eltern ausreichend über die Risiken der durchgeführten Maßnahmen aufgeklärt worden waren.
Der BGH bejahte beide Fragen (Az. VI ZR 363/23). Die Anlage des Verweilkatheters im linken Arm habe nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen, da das Kind bereits zuvor eine Durchblutungsstörung in derselben Extremität erlitten hatte. Die fehlerhafte Katheter -Anlage war zudem ursächlich für die weitere Durchblutungsstörung.
Auch bei der Aufklärung der Eltern sah der BGH gravierende Mängel, insbesondere, weil diese nicht über die Gefahr des Verlustes von Gliedmaßen informiert worden seien. Die Annahme der Vorinstanz, wonach Mutter und Vater auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die lebensrettende Operation ihres Sohnes eingewilligt hätten (hypothetische Einwilligung), verwarf der BGH, da es vorliegend um die Einwilligung in die Anlage des Verweilkatheters, nicht um das Ja zu der dringend gebotenen Herz-Operation ging.
In diesem Zusammenhang sei es auch nicht entscheidend, wie sich die Eltern bei ordnungsgemäßer Aufklärung entschieden hätten, sondern nur, ob sie durch die zusätzlichen Informationen in einen Entscheidungskonflikt geraten wären. Die Vorinstanz muss nun unter Berücksichtigung dieser Vorgaben noch einmal entscheiden.
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizinrecht:
Wenn ein Arzt eine gebotene Aufklärung unterlässt oder Patienten nur unvollständig über die Risiken einer Behandlung informiert, haftet er dafür nur dann nicht, wenn er darlegen beweisen kann, dass der Patient (oder dessen gesetzliche Vertreter) auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den konkreten Eingriff eingewilligt hätte. Der Patient, der Schadenersatz wegen einer fehlerhaften Aufklärung verlangt, muss hingegen nur plausibel machen, dass er im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt gekommen wäre, nicht hingegen, wie er sich in dieser Konstellation entschieden hätte.
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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann Rechtsanwalt Jürgen Wahl als Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht gut beurteilen.
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