Einleitung einer Geburt mit Cytotec – automatisch ein Behandlungsfehler?

Ärzte dürfen Patienten grundsätzlich auch Arzneimittels außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete verabreichen. In der Praxis führt dies aber immer wieder zu großen Problemen.

Der Wirkstoff Misoprostol wird in Deutschland seit langem zur Prophylaxe und Therapie von Magen- und Darmerkrankungen verwendet und ist für diese Behandlung auch zugelassen. Außerhalb des eigentlichen Einsatzgebietes wurde das Medikament Cytotec, das 200 gab Misoprostol enthielt, zudem auch regelmäßig zur Geburtseinleitung eingesetzt (sogenannter Off-Label-Use).

Zwar wird Cytotec in Deutschland inzwischen nicht vermarktet. Jedoch gibt es nun, seit September 2021, das Präparat Angusta. Dieses enthält jedoch eine wesentlich niedrigere Dosis an Misoprostol (25 μg) und ist auch offiziell für die Indikation Geburtseinleitung zugelassen.

Weiterhin müssen die Gerichte sich aber mit Klagen aus der Zeit vor der Zulassung von Misoprostol zur Geburtseinleitung befassen. Vielfach wird die Anwendung des Wirkstoffes als behandlungsfehlerhaft gerügt.

Hohe Anforderungen an den Arzt

Der BGH hat bereits im Jahr 2007 klargestellt, dass Ärzte grundsätzlich in der Wahl der Behandlungsmethode frei sind und daher auch Medikamente einsetzen dürfen, die (nur) für andere Indikationen zugelassen sind (BGH, Az. VI ZR 55/05). Allerdings muss der Arzt dabei auch die möglichen Nebenwirkungen berücksichtigen und Patienten und Patientinnen entsprechend aufklären.

Mit Blick auf den Einsatz von Cytotec zur Einleitung von Geburten bedeutet das, dass die möglichen Nebenwirkungen mit jenen von konventionellen Methoden der Geburtseinleitung abzuwägen waren und auf dieser Basis über die Verwendung zu entscheiden war.

Einsatz von Cytotec als ärztlicher Standard

Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln mit Urteil vom 15.05.2024 festgestellt, dass die Geburtseinleitung mit Misoprostol im Jahr 2019 dem ärztlichen Standard entsprach (Az. 5 U 109/23).

Dabei stützte sich das Gericht auf die Ausführungen eines Sachverständigen, wonach die Verwendung des Medikamentes zwar off-label erfolgt sei, allerdings gleichwohl dem geburtshilflichen Facharztstandard entsprochen habe.

Eine kausale Verknüpfung zwischen der Gabe von Cytotec und den beim Neugeborenen im konkreten Fall aufgetretenen Geburtsschäden (Schulterdystokie und Zwerchfellparese) sei auszuschließen. Auch einen Aufklärungsfehler konnte das Gericht vorliegend nicht erkennen, weswegen die Klage abgewiesen wurde.

Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizin- und Versicherungsrecht in Hanau:

Auch wenn die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung von Cytotec in der Geburtseinleitung nicht automatisch als Behandlungsfehler zu bewerten ist, sind viele Fallkonstellationen denkbar, in denen Mütter und ihre Kinder Ansprüche gegen ihren Arzt geltend machen können – sei es wegen mangelnder Aufklärung oder wegen eines allzu sorglosen Einsatzes des Medikamentes. Ein erfahrener Anwalt kann Ihren Fall sachkundig bewerten. Sprechen Sie mich gerne an!

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Wie die Aussichten in Ihrem konkreten Fall stehen, kann Rechtsanwalt Jürgen Wahl als Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht gut beurteilen.
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